Einsichten in die Welt von heute ....

Anmerkungen zur Malerei von David Gessert


Entgegen aller Prognosen über ihr Ende ist die Malerei nach wie vor eine vitale und hochwirksame Ausdrucksform, in der neue und überraschende Mitteilungen geschehen können. Malerei im 21. Jahrhundert findet im Kontext kultureller Veränderungen, konkret gesprochen, zu den Bedingungen elektronischer Medien statt, denn Wahrnehmung und Verständigung über Wirklichkeit wird seit mehr als zwei Jahrzehnten und dies zunehmend, durch Bildmedien geprägt und geregelt. Heutige Malerei entsteht deshalb wie im Windschatten einer dynamischen Medienentwicklung. Maler reagieren mit Malerei auf die andrängende Bilderflut elektronischer Medien, auf deren Rasanz und Technik. Gewiss geschieht dies völlig unterschiedlich und individuell, vor allem arbeiten Maler in einem "langsamen" Medium, wenn sie - und sie können kaum anders - Momente des medialen Angebots adaptieren oder es zu negieren versuchen. In diesem Sinne ist die Malerei heute auch in einer besonderen Form freigesetzt für die Beschreibung und Kommentierung selbst erlebter Realität. Solche Kunst kann zum Ausdruck individueller Haltung und Behauptung werden, denn Malen und Zeichnen besitzt - so es spontan geschieht - Aspekte großer Unmittelbarkeit, von Eigenständigkeit und Eigensinn. Malerei wird dann zum Selbstzeugnis eines Künstlers, der mit ihr auf dem Geviert der Leinwand und wie im Selbstgespräch, Statements über sein Innenleben und die Außenwelt veröffentlicht.

Ein Künstler, dem dies gelingt, ist der 1974 in Berlin geborene David Gessert, der in seiner Acrylmalerei und dem graphischen Werk das Erlebnis seiner Existenz darstellt und benennt. In großformatigen Bildern komponiert David Gessert immer wieder verwirrend komplexe Situationen, die im ersten Moment unübersichtlich und hoch verdichtet wirken. Die dargestellten Räume erscheinen übervoll und zugestellt mit zahlreichen bunten Gegenständen. Zugleich macht es oft den Eindruck, als würde sich in diesen Räumen eine kraftvolle Bewegung - ähnlich einer Druckwelle - Platz schaffen. Schaut man jedoch genauer hin, so erkennt man den Bühnenhaften Charakter solcher Szenen und entdeckt inmitten der Vielteiligkeit immer wieder eine männliche Figur, die zuweilen Ähnlichkeit mit dem Künstler besitzt. Bei den Gemälden handelt es sich also auch um Bildnisse des Künstlers, der sich wie auf einem Podium oder einer Bühne in Szene setzt, etwas vorführt, darstellt und mitteilt. Hinweise auf solche Darstellungen gibt Gessert, wenn er sagt:" Wie bin ich aufgewachsen? Welche Entwicklung habe ich genommen? Das sind Fragen, die ich mir stelle. In dem Bild "Spurensuche" habe ich zum ersten Mal versucht, mich diesen Fragen künstlerisch zu nähern. ... Halbnackt und dem Urteil der Richtenden ausgeliefert fliegt mir mein bisheriges Leben um die Ohren. Im Wesentlichen sind es die glücklichen Momente, während das Unerfreuliche im Dunkel liegt."

Grundlage für viele Bilder und Zeichnungen David Gesserts bildet die Arbeit mit Modellen. Oft sind es Tänzer aus der Tanzsportszene, mit denen er seit Jahren zusammen trainiert. Gessert lässt sie mythologische Szenen nachstellen, Gesten und Haltungen einnehmen, die kunstgeschichtliche Vorbilder haben oder aber die Modelle posieren frei nach eigenen Vorstellungen. Die Sitzungen mit den Modellen dokumentiert der Gessert fotografisch und verwendet die Aufnahmen als Hilfsmittel und Anregungen für seine Malerei. Auf der Leinwand entstehen daraus Darstellungen, die aus den Modellen Heroen und Unwesen machen, die sie zwischen Kitsch, Comic und Situationen des Alltags zeigt. David Gessert sagt dazu: "Solche Figuren stehen für die Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Welt und wollen den Kampf gegen Ungerechtigkeit und Missstände noch nicht verloren geben."

Seine Malerei ist in diesem Sinne auch eine Kunst des Zitierens und der Aneignung, deren Ziel es ist, eine Gegenposition zu beobachteten Härte und Miserabilität der Welt zu entwickeln. Gewiss besitzen seine Bilder märchenhafte und fantastische Momente, die irreal erscheinen und doch veröffentlich der Künstler damit seine Wunsch- und Traumwelt. Von daher tut er vergleichbares, wie es die Manieristen, Symbolisten und surreale Künstler in verschiedenen Jahrhunderten taten. Er besteht auf der selbstständigen Deutung von Wirklichkeit, die in den Bildern mit realistischen Veranschaulichungen vorgestellt wird, insgesamt jedoch spiegeln die Bilder Gesserts sein subjektives Erleben, seine Empfindungen, Wünsche und Gefühle. Darin liegen die schönen wie auch die radikalen Momente seiner Malerei, denn Gessert zeigt, wie es in ihm aussieht, was ihn bewegt, was er sich erträumt und ebenfalls das, was ihn heiß und scharf macht. In der Radikalität der Darstellung - egal ob es um Erträumtes oder sexuelle Fantasien geht - berühren sich die inneren Aspekt seiner Malerei mit der äußeren Wirklichkeit. So etwa in dem Bild "Der 1. Preis", das vom Glück durch Anerkennung handelt und diese dann aber sofort sabotiert, denn nur dumme Gartenzwerge sind Zeugen des Erfolgs. Mit dieser satirischen Komponente tritt eine Realistik und Lebenstüchtigkeit in Gesserts künstlerisches Arbeiten, das auch in den drastisch erotischen Bildern zu erkennen ist. Der Künstler äußerte in diesem Kontext: "Ein großer Zyklus meiner Arbeit zeigt Szenen triebhafter Lust. Dieses Thema begleitet mich seit meiner Studienzeit. Hier zeige ich Ungezügeltes und Unangepasstes - vor einem gediegenen bürgerlichen Ambiente etwa das delikate Spiel junger Männer, die ungehemmt ihren Körper anpreisen und jegliches Gefühl für Peinlichkeit verloren haben. Die Vorlagen hierfür waren veröffentlichte Selbstdarstellungen von Usern im Internet." Mit der Übersetzung in das Medium der Malerei bekommen solche Darstellungen in David Gesserts Kunst durchaus auch einen ironisch scharfen und karikierenden Gestus, der die Sache zwar ernst nimmt, aber dann doch nicht im Sinne einer Moralpredigt verdammt und verteufelt. Mit seiner Malerei und den Zeichnungen macht David Gessert etwas sichtbar - es ist das, was ihm auf den Nägeln brennt, was er für Individuum und Gesellschaft als problematisch oder wichtig erkennt.

Mit seiner Kunst durchdringt er Wirklichkeit, indem er persönliche Zeichen und eine eigenständige Bildsprache erfindet. In diesem Sinne bildet er nichts ab, sondern er erschafft Statements und Kommentare - und damit neue Einsichten in die komplizierte Welt von heute.

Peter Funken (2011)